Theodor Däubler                   Die Vorsonne

1876 – 1934

Ich bin der Glaube an die Macht der Sonnen,

Und meine Inbrunst zeitigt alle Strahlen!

Ich walle aus mir selber in die Zahlen

Und halte mich von Ewigkeit umsponnen.

 

In mir erschöpfen nimmer sich die Bronnen;

Mein Ich entstammt ja festen Wahlen

Der Ringnatur in ihren Wandelqualen:

Drum werde ich. Doch hat mich nichts begonnen!

 

Ich bin! und weil ich bin, so will ich leben.

Und da ich leben will, bin ich ein Wesen:

Doch ewig nur, als wahrstes Sein und Streben!

 

Ich bin nur ich in meinem Micherlesen,

Und um zu werden muß ich mir entgegenschweben,

Denn nur auf mirberuht das Urgenesen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Heidentum

1876 – 1934

Ich möchte wandern. Nackt verschwinden, schwimmen.

Stets weiterschwimmen, Frauen treffen, minnen.

Mich geben in das Wasser: abwärtsrinnen.

Die Flut befragen. Schwimmend immer weiter klimmen.

 

Im weichen Wasser wohnen Wunderstimmen.

Sie wollen mich für ihre Glut gewinnen.

Sie sind im Nebel. Noch im Tropfen drinnen.

Ganz innen kann auch kaltes wasser glimmen.

 

Die Wellen wollen sich in mich verlieben.

Wer ist bei mir geheimnisvoll zugegen?

Nur wir! wenn alle Wünsche leicht zerstieben.

 

Ich will mich in der Flut zur Ruhe legen.

Die Wellen tragen meine Kunden weiter:

Selbst alle Schwermut überschäumt sich heiter.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Goldene Sonette

1876 – 1934

I.

 

Vertändelt ist das erste Gold der Garben.

Auf alten Mauern schlafen rote Schlangen.

Die Jagd auf Wanderwild hat angefangen,

Der Tagesabgang schweißt durch Wolkennarben.

 

Das Jahr vollendet seinen Kranz der Farben.

Die Lauben sind mit Schattenblau behangen,

Der Äcker Todesgold ist aufgegangen:

Wie wahr, daß wir schon alle lange starben!

 

Ich kann dem Frühlingsbrüten nicht vertrauen.

Und doch, das Wunder wird so bald geschehen:

Die Luft erholt sich bloß auf trocknen Auen.

 

Es kommt die Sonne, unser Wohlergehen.

Das Frühlingsgrün ist heimlich ein Erblauen:

Es gibt ein unerfülltes Auferstehen.

 

 

II.

 

Der Tag ist wie ein Kindlein eingeschlafen.

Sein Lächeln überspiegelt goldnes Träumen,

Der Wiegewind vereinsamt sich in Bäumen,

Und Bäume überrauschen blau den Hafen.

 

Entzweite Schwestern, die einander trafen,

Beplätschern sich im heitern Abendschäumen,

Dann nahen sie als Schwan mit Feuersäumen

Und landen unter Marmorarchitraven.

 

Auch meine Segeleinfalt ist versunken.

Ich warte stumm auf dunklem Stufendamme

Und staune, daß die Brandung blau verblutet.

 

Mein Blick. ein Stern. Des Meeres Purpurfunken.

Wie gut die Nacht durch meine Ruhe flutet.

Bedachtsam wandelt sich die Hafenflamme.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Die Gasse

1876 – 1934

 

I. – Flügellahmer Versuch

 

Es schweift der Mond durch ausgestorbne Gassen,

Es fällt sein Schein bestimmt durch bleiche Scheiben.

Ich möchte nicht in dieser Gasse bleiben,

Ich leid es nicht, daß Häuser stumm erblassen.

 

Doch was bewegt sich steil auf den Terrassen?

Ich wähne dort das eigenste Betreiben,

Als wollten Kreise leiblich sich beschreiben,

Ich ahne Laute, ohne sie zu fassen.

 

Es mag sich wohl ein weißer Vogel zeigen,

Fast wie ein Drache trachten aufzusteigen,

Dabei sich aber langsam niederneigen.

 

Wie scheint mir dieses Mondtier blind und eigen,

Es klopft an Scheiben, unterbricht das Schweigen

Und liegt dann tot in Hainen unter Feigen.

 

 

II. - Katzen

 

Es silbern Mondflocken durchs Fenster nieder.

Auf bleichem Teppich spielen weiße Katzen,

Mit silberblauen Augen, Seidentatzen.

Beinah gebrechlich sind die feinen Glieder.

 

Ich klatsche, lache, schließe meine Lider.

Doch bleibt das nahe Katzenhaschen, Kratzen.

Auf einmal raschelt es in den Matratzen,

Und blasse Kleider gibt der Spiegel wieder.

 

Ich wußte wohl, sie würden lautlos spielen.

Wie sind die Katzen und die Kinder zierlich.

Sie balgen sich auf den beglänzten Dielen.

 

Das große Kind ist nackt und doch manierlich,

Die kleinen tragen blaue Mondlichthemden.

Wie mich die Augen und ihr Schmuck befremden.

 

 

III. – Der Kakadu

 

Ein Streifen Mondschein fällt durch eine Scheibe

Auf einen weißen Riesenkakadu,

Er krümmte sich vor Stunden schon zur Ruh

Und wälzt nun wirre Träumerei im Leibe.

 

Erst blaut in ihm der Schreck vor einem Weibe,

Dann folgt im Nu bedrückendes Getu.

Nun kommt der Bub. Der neckt ihn, nickt ihm zu

Und zeigt die Zunge rot ins Traumgetreibe.

 

Jetzt schlägt der Vogel kreischend einen Reifen

Und blickt der blanken Scheibe in den Schlund.

Dann fängt sein Schreck an schlotternd auszukneifen.

 

Dann nickt er ein: der Mond spuckt Kirschen aus,

Er neckt ihn, lacht, verrenkt den Mund.

Und kriegt dafür von irgendwo Applaus.

 

 

IV. – Die Droschke

 

Ein Wagen steht vor einer finstern Schenke.

Das viele Mondlicht wird dem Pferd zu schwer.

Die Droschke und die Gassenflucht sind leer:

Oft stampft das Tier, das seiner wer gedenke.

 

Es halten diese Mähre halb nur die Gelenke,

Denn an der Deichsel hängt sie nimmer mehr.

Sie baumelt mit dem Kopfe hin und her,

Daß sie zum Warten sich zusammenrenke.

 

Aus ihrem Traume scheucht sie das Gezänke

Und oft das geile Lachen aus der Schenke.

Da macht sie einen Schritt, zur Fahrt bereit.

 

Dann meint sie schlafhaft, daß sie heimwärtslenke,

Und hängt sich an sich selbst aus Schläfrigkeit,

Noch einmal poltern da die Droschkenbänke.

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Auf Hellas Bergen

1876 – 1934

 

I.

 

Ich wandle spät und schweigsamer als Hirten,

Beinah verzagt, auf Hellas’ Höhen hin;

Dein Bild, Entrauschte, bleibt vor meinem Sinn,

Doch ohne Blicke, die um Hinsturz girrten.

 

Ich weiß, daß meine Schritte mich verirrten,

Ich weiß, wie ich vor dir unfaßbar bin,

Doch nimm von meiner Sorgsamkeit Gewinn:

Dir sei ein Aufenthalt mein Tal der Myrten.

 

Dir sei mein Lied, das ich erschaudernd singe,

Ein Bittgang und Geschenk, wenn dichs erreicht.

Nimm an, was ich zu dir – entsagend – bringe!

 

Nur einen Hauch von Huld – und mir wird leicht.

Ich finde dich bei Myrten, Ferngewähnte,

Sie sternten auf, wo sich dein Blick betränte.

 

 

II.

 

Das Leid um die Geliebte hat kein Sterben.

Auf Höhen, wo der Hirt bei Herden wohnt,

Verweile ich und suche mit dem Mond –

So bleich wie er – untreffbares Verderben.

 

Die Berge gleißen hin, wie Silberscherben

Nach Hellas’ Bruch, wo Zeus dereinst gethront:

Gar seltsam sind wir, die ein Sturz verschont,

Der Sehnsucht – keiner Geltung – ernste Erben.

 

Ich horche auf verschlafner Herden Glocken:

Oft regt das Tier sich – und da kommt der Klang.

Das jüngste Sternlein steigt dabei – bekannt –

 

Zu uns empor: ein freundliches Frohlocken.

Durch Himmels-Einfalt sind wir fromm verwandt.

Gelobte Nacht, enthülle unsern Dank.

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Perseus

1876 – 1934

Das Schlangenhaupt der Zweifelfurcht ist abgeschlagen.

Nun stehst du nackt, geburthaft nackt, in wüsten Weiten.

So gehe fort, auch ohne fortzuschreiten!

Du mußt das Feindeshaupt bis an dein Ende tragen.

 

Du fühlst dir nun das eigene Trauerspiel entragen.

Dein Ich betrifft dich nicht, da Geister dich begleiten

Und Helden ihre Möglichkeiten vorbereiten,

Um dann entnächtigt, über dich gezückt, zu tagen.

 

Ich lasse mich von einem Schlangenhaupt zerfleischen.

Ich achte meine Beute, darf sie nicht verwerfen.

Die Schlangen beißen, beißen, und ich darf nicht kreischen.

 

Die edlen Sinne werden sich noch weiter schärfen.

Das Fleisch ist wild zernagt, und Gift traf meine Seele,

Ich stehe als Gespenst und schreie ohne Kehle.

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Verloren

1876 – 1934

Ach, ich habe dich auf einem Stern verloren.

Seiderauschend zogst du einst an mir vorbei,

Und ich war und wußte bloß den wehen schrei:

Wo wirst du für mich und ich in dir geboren?

 

Lebst du, Meine, unter schwerverschloßnen Toren?

Mütter trennten, brachen uns vielleicht entzwei.

Kennst du deiner Schwermut blasse Ahnenreih?

Was du wurdest, hat sich wider mich verschworen.

 

Ach, du hast dich selber von dir losgeschaffen.

Trägst du mich gewiß in guten Abendarmen?

Sollt ich mich aus einem Abschied selbst erraffen?

 

Meine Ferne, kann ich ganz zu mir verarmen?

Sah ich dich? ach, dieses war ein Kaumerinnern,

Zufall, Wirrnis bei den klaren Mittagsspinnern.

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Erklärung

1876 – 1934

Ein blasser Hauch durchschreitet Marmorhallen,

Die unten irgendwo zum Meere führen.

Wohl scheint ein Laut von Wellen herzurühren,

Ein Traum? ein Wittern? mit dem Winde Wallen?

 

Dem Schatten ist ein Becken aufgefallen,

Und schon verführts ihn, Flammen anzuschüren.

Nun öffnen sich des Saales Flügeltüren,

Und alle Hallen fangen an zu schallen.

 

Erschaute ich das Wandeln einer Seele?

Sie ging verwaist wie unvermutet weiter.

Ihr bangte bloß, daß sie ein Horcher quäle.

 

Ihr Trauertraum verschmäht die Saalbegleiter.

Ich darf mich nie nach dieser seele sehnen,

Sie ging und kam, mich flehend abzulehnen.